Das Pilgern kommt den meisten Menschen dann in den Kopf, wenn sich irgendetwas in ihrem Leben unstimmig anfühlt. So war es auch bei mir. Ich durchlebte gerade die anstrengendste Zeit meines Lebens und suchte im Pilgerweg meinen Frieden. Anders als der Trend ist, startete ich meine Reise in meiner Heimatstadt, in der östlichsten Stadt Deutschlands. Ich hatte eine Idee, aber kein Ziel. Nur grob sollte es Richtung Spanien gehen, und dort landete ich auch früher oder später. Aber dazu mehr in diesem Artikel.
Ich informierte mich im Internet, in Foren und über YouTube Videos, was ich wohl alles beachten müsste, wenn ich mich mit meiner Hündin auf den Weg mache. Meine Packliste war gut vorbereitet und alle nötigen Utensilien schaffte ich mir an. Ein guter Freund überließ mir sein Pilgerbüchlein für den ökumenischen Pilgerweg der in Sachsen begann und in Thüringen endete. Dort sind alle Unterkünfte und Adressen eingetragen, die auf dem Weg liegen.

Meine Pilgerliste
*Reiserucksack
*Powerbank
*Wanderschuhe
*Merinokleidung
*Regenmantel
*Rucksack für Hunde
*leichtes Zelt
*Schlafsack
*Matratze
*Wasserfilter
*Trinkflasche
*Reisegitarre
Der Jakobsweg lehrte mich so viele Dinge. Nicht nur, dass es unglaublich heilsam sein kann, einfach jeden Tag weiterzuwandern und die schöne Natur zu erleben. Auch die Nähe zur Heimat war mir sehr angenehm. Ich wanderte zum Beispiel im Kreis Bautzen durch das Gebiet der Serben und verstand nun erst, dass es Gruppen in unserer Bevölkerung gibt, die eine ganz andere Sprache sprechen und das nicht mal 100 km entfernt von der Stadt, in der ich 26 Jahre lang lebte.
Die Pilger-Wanderung schenkte mir fast jeden Tag eine richtige Unterkunft. Oft war diese gegen Spende für eine Nacht beziehbar. Die Menschen, die ich in diesen Häusern traf, waren oft sehr gastfreundlich und interessiert an meiner Geschichte. Ich teilte meine Gedanken und auch meine Postkarten, die ich als Spendenanteil in den Pilgerstätten hinterließ. Da die Jakobsmuschel das Symbol für diesen Weg ist, stellte ich aus Muscheln kleine Schmuckstücke aus Makramee her. Schlüsselanhänger und Halsketten waren heiß begehrt.

Die wohl intensivste Pilgererfahrung konnte ich an zwei hintereinander folgenden Tagen erleben. Ich war bei starken Regen in ein Dorf gekommen, in dem ich an ein altes, kleines Lehmhaus klopfte. Es war eine offizielle Pilger-Unterkunft, und so öffnete mir ein älterer Herr. Er kam mit 2 Kannen voll Wasser und erklärte mir, wo ich mich in diesem Häuschen waschen und wo ich schlafen könnte. In diesem Haus gab es kein fliessend Wasser und auch kein Strom. Die Toilette war draußen, hinter dem Haus. Ein Kompostklo. Der Mann komme in einer Stunde wieder, teilte er mir mit.
Nachdem ich angekommen war und meine Wäsche zum Trocknen über den Lehmofen aufhing, klopfte es wieder an der Tür. Der Mann trat ein und hielt einen Korb in der Hand. Er brachte mir Brot, eine Suppe und Wein und leistete mir Gesellschaft. Er erzählte mir von der Geschichte des Armenhauses, was es ganz früher war. Bis zu 12 Personen haben in dieser kleinen Hütte zusammen gelebt, als es nicht viel gab. Ich war verwundert, wie das möglich sein sollte. In der Not halten die Menschen eben doch zusammen und teilen auch die kleinsten Gaben miteinander. Ich war gerührt von der Geschichte und schlief hervorragend im Strohbett unter dem Dach. Dort konnte ich mich nicht mal aufrecht hinstellen. Es hatten 3 Betten dort Platz.



Am nächsten Morgen kam der Mann wieder und brachte mir erneut Essbares in seinem Korb. Ich dankte ihm mit selbstgemachtem Schmuck und reiste weiter. Meine nächste Destination sollte etwas gegensätzlich werden. So erreichte ich nach 14 Kilometern ein Schloss in der Nähe von Dresden. Pompös und wunderschön erstreckten sich die Türme wie in einem orientalischen Märchen auf dem riesigen Gelände des Schlosses. Ich wollte einchecken und traf auf 2 schlechtgelaunte Damen. Ihre fehlende Motivation, mich zum Zimmer für Pilgernde zu begleiten, stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Nach einem Hin und Her bekam ich zumindest den Schlüssel und ich suchte mich durch die vielen Räume.
Ein großes, kaltes Zimmer empfing mich. Es war nicht nur von der Temperatur kalt, sondern auch vom „Klima„. Lieblos übereinandergestapelte Matratzen, ein alter Wasserkocher und die Aufforderung zu einem Mindestspendenbetrag von 5 Euro war deutlich platziert. Ich fühlte mich komisch. Die Nacht war ebenso und wirre Träume prägten meine Erinnerung dieser Nacht in diesem wunderschönen Schloss. Ich begann nachzudenken.



Das Armenhaus war so lieblich und fein. Das Schloss so hässlich und groß, wenn ich das Gefühl in je 2 Worten beschreiben müsste. Es tat mir nicht weh am nächsten Morgen schnell meiner Wege zu gehen und behalte diese besondere Situation meines 3-wöchigen Pilgerweges bis heute in Erinnerung.
Und die Moral von der Geschicht, das, was du scheinst zu sein, das bist du nicht. Wir sollten uns nicht nach unserem Äußeren beurteilen. Scheint etwas noch so schön, kann es im fragwürdig erscheint, kann doch so schön wirken. Letztendlich kommt es auf das Gefühl an! Heute würde ich mich definitiv für das Armenhaus entscheiden. Selbst die Entscheidungen, die ich heute treffe, werden noch von dieser Erfahrung geprägt. Wie schon meine Freundin Franzi von Streifenblicke Lustbilder immer sagt: Fühlfalt fetzt! Und da gebe ich ihr zu 100 % recht!

Fazit:
Der Pilgerweg hat mich an viele Grenzen gebracht und mir Situationen geschenkt, an denen ich wachsen konnte. Das Naturerlebnis, gekoppelt mit der Bewegung ist wunderbar für Geist, Körper und Seele. Die Menschen und die Momente, die wir teilten, waren herzerwärmend. Ich möchte es wieder machen! Vielleicht dort weiterlaufen, wo ich aufgehört habe.
Von Herzen, Liselle.
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Super schöner und interessanter Blogbeitrag, ich war grad auf dem Brandenburger Pilgerweg kurz unterwegs, möchte ihn aber fortsetzen.